Gewaltexzesse in Stuttgart

Veröffentlicht am 06.07.2020 in Reden/Artikel

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Strasser, es ist ein bisschen schade, dass Sie das jetzt zu so einer Art Wahlkampfrundumschlag nach dem Motto „Und jeder kriegt eine mit“ nutzen.

Ich finde, wir sollten uns eher um das Thema kümmern, um das es hier in der Debatte gehen soll, und wir sollten uns vor allem um diejenigen kümmern, die an diesem Wochenende den Kopf für uns hingehalten haben, nämlich die Polizistinnen und Polizisten.

Ich hatte am Montag nach diesen Ausschreitungen die Gelegenheit, im Polizeipräsidium auch mit denen zu reden, die direkt beim Einsatz dabei gewesen sind. Wenn man sich die Bilder anschaut und sich vor Augen führt, dass es eine Streife war mit zwei ganz normal ausgerüsteten Polizisten, die zu zweit einfach auf Kontrollgang waren, wie sie es jeden Abend dort machen, und die dann quasi aus dem Nichts heraus angegriffen wurden, wenn man sich vor Augen führt, dass sehr schnell Kolleginnen und Kollegen zu Hilfe kamen und dann 45 Beamtinnen und Beamte eine halbe Stunde lang dastanden und mit Pflastersteinen beworfen wurden, dann muss man wirklich sagen: Allererste Pflicht von uns ist es, denen zu danken, die dastanden, die angegriffen wurden, die keine spezielle Ausrüstung hatten, weil das nicht zur Ausstattung des Abends gehörte, und die trotzdem so besonnen waren, dass sie keinen Warnschuss abgaben, sodass keine Exzesse daraus entstanden.

Ich finde, es ist eine große Leistung, in so einer Situation ruhig zu bleiben. Diese Polizistinnen und Polizisten haben es nicht verdient, dass man auf ihrem Rücken politische Spielchen austrägt. Sondern sie haben es verdient, dass wir uns ernsthaft Gedanken machen, ernsthaft darüber Gedanken machen, wo solche Gewaltexzesse herkommen. Diese Gewaltexzesse haben eben keine eindimensionale Begründung, und es waren eben ganz viele unterschiedliche Menschen.

Die Polizei hat am nächsten Tag verkündet: Es waren vor allem viele Männer, viele junge Männer, viele betrunkene und alkoholisierte Männer. Aber sie waren aus allen Schichten der Gesellschaft, und sie waren alle unterschiedlicher Herkunft.

In diesem Sinne ist sicherlich ein Punkt – Kollege Frei hat ihn angesprochen –: Ermitteln, bestrafen – und das ganz schnell.

Ein zweiter Punkt ist aber auch, dass wir uns um die kümmern müssen, die dort herumstanden, die nicht geholfen, die nicht eingegriffen, die nicht gesagt haben: „Lasst es sein!“, sondern die noch dabeigestanden sind. Wenn Sie sich die Filme anschauen: Die stehen da rum und schauen zu. Nicht wenige zücken das Handy. Die Jungs posieren zum Teil; die Mädels, aber auch andere Jungs filmen sie. Auch das müssen wir ins Auge fassen. So was ist doch eine kranke Entwicklung in unserer Gesellschaft, dass man sich an Gewalt erfreut, die entsprechenden Bilder postet und dafür noch Likes bekommt.

Das sind genauso wichtige Diskussionen wie die über die Frage der Bestrafung der Täter, derer wir hoffentlich habhaft werden.

In diesem Sinne ist es jetzt notwendig, zu überlegen: Was sind die einzelnen Maßnahmen? Kommunale Kriminalprävention – da will ich Ihnen ausdrücklich recht geben. Dazu gehören aber auch die Fragen: Was hat man für ein Beleuchtungskonzept? Welche Alternativen haben die Leute dort?

Für alle, die Stuttgart jetzt nicht so gut kennen: An den Eckensee kommen die Leute abends hin, haben mehrere Kästen Bier dabei, setzen sich hin, haben eigene Musik dabei, und in jeder Ecke ist eine Gruppe, die irgendwie einer eigenen Szene zugehört. Deshalb müssen wir uns auch überlegen: Wie kommen wir an die ran? Wie machen wir den Platz sicher? Wie nehmen wir zum Beispiel Videoüberwachung an bestimmten schwierigen Stellen vor? Aber natürlich auch: Wie kommen wir ins Gespräch mit den Leuten? Denn es ist eine Staatsferne, die da deutlich wird. Wer die Polizei angreift, der greift auch den demokratischen Rechtsstaat an.

Deshalb ist es auch unsere Aufgabe, an dieser Stelle klarzumachen: Wir dürfen das nicht dulden. – Aber wir müssen mit den Leuten ins Gespräch kommen, damit wir merken: „Wie können wir eingreifen?“, und dürfen nicht warten, bis es wieder explodiert.

Deshalb ist es für unsere Fraktion eine besonders wichtige Aufgabe, an dieser Stelle mit vielen unterschiedlichen Maßnahmen zu arbeiten. Wir versuchen schon seit Jahren, hier auch gesetzlich, also mit Strafen, zu reagieren. Das alleine hat nichts genutzt; deshalb brauchen wir diese Vielfalt von Maßnahmen. Da gehört, selbst wenn die AfD es höhnisch erwähnt, natürlich auch eine mobile Sozialarbeit dazu; denn wir müssen mit den Leuten in Kontakt kommen und ein positives Verhältnis zum Staat wiederherstellen.

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Homepage Ute Vogt ehem. MdB