Generaldebatte Soziale Stadt: Rede von Martin Körner

Veröffentlicht am 12.10.2018 in Veranstaltungen

Generaldebatte Soziale Stadt am 11. Oktober 2018

Rede des Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion im Stuttgarter Rathaus Martin Körner

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr verehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Frau Fezer, meine Herren Bürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Generaldebatte soziale Stadt ist für uns die wichtigste Debatte hier im Stuttgarter Rathaus. Weil die soziale Stadt als allererstes eine menschliche Stadt sein muss. Menschlich in dem Sinne, dass Stärkere dem Schwächeren helfen. Menschlich in dem Sinne, dass man sich umeinander kümmert. Das ist etwas Grundsätzliches, wenn wir über die soziale Stadt reden.

Für uns ist das heute die wichtigste Debatte, weil wir es für die vornehmste Aufgabe der Stadt halten, für eine soziale Stadt zu arbeiten, in der die Menschen zusammenhalten. In der sie nicht gespalten werden, sondern zusammengeführt werden. Und, ja natürlich, für uns ist das die wichtigste Generaldebatte, die Generaldebatte zur sozialen Stadt, weil wir die Sozialdemokratische Partei Deutschland sind.

Die SPD hat genau vor 100 Jahren 1918 die erste deutsche Sozialdemokratie durchgesetzt. Sie hat etwas Unglaubliches beendet, nämlich, dass Frauen nicht wählen dürfen. Ein sozialer Skandal. Das haben wir durchgesetzt. Und jetzt lächeln manche und sagen, was soll die Erinnerung? Aber erstens ist das genau 100 Jahre her und da darf man sich schon auch mal erinnern. Und zweitens ist es doch so: Wenn wir uns nicht erinnern, dann wissen wir auch nicht, wer wir heute sind. Ohne die Vergangenheit wissen wir nicht, um was es heute geht. Wir verstehen das heute gar nicht. Und was auch wichtig ist: Wir können etwas lernen aus der Vergangenheit. Und eine eigentlich auf der Hand liegende Lehre aus den Erfahrungen in der ersten deutschen sozialen Demokratie ist die: Die soziale, menschliche Gesellschaft ist in Gefahr, wenn Extremisten das Sagen haben. Extremisten, die gegen Minderheiten hetzen. Extremisten, die ein Problem mit der sozialen Demokratie haben, wo die Mehrheit entscheidet, wo aber die Minderheit zu schützen ist. Extremisten, die keinen Respekt vor Andersdenkenden haben und das Land spalten wollen und das ist das erste und wichtigste, warum wir eine soziale, eine menschliche Stadt sein wollen und wofür wir als Sozialdemokraten seit über 100 Jahren arbeiten.

Wir Sozialdemokraten arbeiten dafür, dass Stuttgart eine soziale, eine menschliche Stadt ist, in der die Menschen auch ein bisschen zusammenhalten, bei aller Unterschiedlichkeit. Das ist im Übrigen auch ein Zitat von Manfred Rommel, der hier mal gesagt hat, haltet auch mal ein bisschen zusammen. Und wo halten die Menschen zusammen, Herr Oberbürgermeister? Zuerst einmal, ganz persönlich in der Familie, in der Nachbarschaft, im Quartier. Der Begriff fiel heute Abend schon mehrmals. Ich finde völlig zu recht. Dort kennen sich die Menschen und helfen sich einander. Sie sind menschlich. Und auch deshalb halten wir es für ein gutes und sinnvolles Leitbild für Stuttgart, dass Stuttgart zur 5-Minuten-Stadt wird. Was heißt die 5-Minuten-Stadt? Was können wir tun dafür, dass die Menschen sich kennen und helfen in ihrer Nachbarschaft? Wenn die Familie mit Kindern in 5 Minuten bei der Kita sind, Herr Oberbürgermeister, und sich dort begegnen mit anderen Familien, dann helfen sie sich auch gegenseitig. Ich hab‘ das selbst erlebt. Und Sie haben den Ausbau der Kitabetreuung als eine von zwei großen Herausforderungen beschrieben. Ich hab‘ ein bisschen vermisst: Antworten auf die Herausforderungen. Weil, 1000 der bereits beschlossenen Plätze sind heute nicht besetzt, weil uns die Fachkräfte fehlen. Deshalb müssen wir die Fachkräfte besser bezahlen als heute. Und wenn eine Erzieherin ausgebildet ist, müssen wir sie in die Erfahrungsstufe 2 eingruppieren, wie es fast alle Gemeinden um uns herum machen, damit Familien mit Kindern im Quartier gut leben können.

Sozialer Zusammenhalt im Quartier ist auch für Familien mit Kindern, aber auch mit Großeltern ganz wichtig. Meine beiden Vorredner haben das Thema Alter ja auch angesprochen. In der Tat, wir haben die Begegnungsstätten für Ältere. Aber wir sind davon überzeugt und wir wissen, dass viele, gerade ältere Menschen, einsam sind und das ist eine soziale Herausforderung. Und deshalb haben wir den Vorschlag gemacht, die aufsuchende Altersarbeit auch auszubauen. Wir haben bei den Haushaltsplanberatungen dort einen ersten Schritt hin getan. Und für uns heißt dazu aber auch, Herr Oberbürgermeister, dass der Ausbau der Pflegeplätze, der notwendig ist. Wir brauchen auch Pflegeheime. Aber wichtiger noch ist es aus unserer Sicht, kleine dezentrale Einheiten in den Quartieren anzubieten, wo ältere Menschen auch von ihren Kindern in 5 Minuten besucht werden können. Pflege-WGs. Ganz hervorragend ist es, dass die Wohnungsbaugenossenschaften hier in Stuttgart in einem gemeinsamen Verein integrative Wohnformen in ihren Beständen Wohncafés einrichten und es älteren Menschen möglich machen, Frau Bulle-Schmid, solange wie möglich auch zu Hause zu leben. Also das Leben im Quartier, der soziale Zusammenhalt, die soziale Stadt im Quartier ist ein Teil der sozialen Stadt in Stuttgart.

Sie wissen, dass zur 5-Minuten-Stadt aus unserer Sicht auch die 5 Minuten zur Haltestelle zählen. Weil die, die Arbeit haben, dort hin müssen, um zur Arbeit zu kommen. Und das zweite, was aus unserer Sicht die soziale Stadt ausmacht, ist in der Tat die Chance auf Teilhabe und dieses Teilhabekonzept, das Konzept der Verwirklichungschancen, ist ein Konzept, das wir im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sehr schön nachlesen können. Was sich ein sehr intelligenter Mann ausgedacht hat, Nobelpreisträger Amartya Sen. Da geht’s um Lebenschancen, um Verwirklichungschancen, Chancen auf Teilhabe bei der Arbeit, bei der Bildung, bei der Kultur, beim Wohnen, bei Gesundheit, bei politischer Partizipation. Ich möchte mich schon auf die Arbeit konzentrieren. Und ich war ein bisschen überrascht auf die eine oder andere Reaktion auf das, was Kollegin Beate Bulle-Schmid gesagt hat. Wo stehen wir denn in der sozialen Stadt Stuttgart, wenn es um die Chance auf Teilhabe und die Chance auf Arbeit geht? Wir stehen da hervorragend da. Und darauf können wir auch stolz sein. In einer europaweiten Befragung in den hundert größten europäischen Städten bietet Stuttgart die besten Chancen auf einen Job. Gemeinsam mit Oslo teilen wir uns den Platz 1. Was für ein Erfolg, den wir zuvorderst den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und den erfolgreichen Unternehmen aus Stuttgart zu verdanken haben. Und da können wir stolz drauf sein in Stuttgart. So, das ist aber nicht gottgegeben und muss nicht immer so bleiben, da müssen wir was für tun. Aus unserer Sicht müssen wir noch mehr tun, wenn es darum geht, unsere starke Wissenschaft mit dem Mittelstand hier zusammenzubringen. Wir müssen auch mehr für die duale Ausbildung tun, weil dort, bei den Fachkräften, die dual ausgebildet sind, fehlen uns in Zukunft die Fachkräfte. Und, aus unserer Sicht, müssen wir mehr für bessere Bildungschancen hier in unserer Stadt tun, weil nur dann hab‘ ich auch eine gute Chance auf Arbeit, wenn ich gut ausgebildet bin. Wir denken dabei an einen Betrag von zehn Mio. Euro, pro Stadtteil rund 250.000 Euro pro Jahr. Zehn Mio. Euro insgesamt für Kinder und Jugendliche, die wir fit machen wollen für die mittlere Reife, für eine duale Ausbildung oder auch für die beruflichen Gymnasien. Mit diesem Geld wollen wir die Schulen und die Kitas unterstützen, in den Stadtteilen, wo viele ärmere Familien leben. Damit wir dort Gas geben, wo der Unterstützungsbedarf groß ist. Bei den Kitas machen wir das zum Teil schon in Ansätzen mit den Kinder- und Familienzentren, aber wir wissen mit dem Sozialdatenatlas ganz genau, wo diese Stadtteile sind. Wir wissen ganz genau, wo die Grundschulen sind, wo die Kinder in Familien leben, wo nicht 5 Meter Bücherregal zu Hause sind. Und wir wissen im Übrigen auch, wo die anderen Grundschulen sind. Alle sind wichtig, aber die Schulen in solchen Stadtteilen, wo viele ärmere Familien leben, haben eine besondere Unterstützung verdient. Wir schlagen vor, dass wir uns da ein bisschen an dem orientieren, was Mannheim mit dem Maus-Modell macht. Es gäbe aber auch andere Möglichkeiten: Wir schlagen vor, das Sachmittelbudget, was die Kinder in die Kita mitnehmen mit 50 Euro und in die Schule mitbringen mit 100 Euro, die eine Bonuscard haben, deutlich erhöhen im Rahmen dieses Programmes, weil diese Schulen und diese Kinder brauchen unsere Unterstützung, damit sie später beste Jobchancen haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Jahr 2005 waren in Stuttgart noch 30.000 Menschen arbeitslos. Mit den rot-grünen Arbeitsmarktreformen haben wir uns damals ehrlicher gemacht und die erwerbsfähigen Sozialhilfeempfänger nicht mehr links liegen lassen, sondern voll mitgerechnet und vor allem seitdem auch voll im Blick, wenn es um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit geht. Seit 2005 hat sich diese Zahl halbiert, heute sind in Stuttgart noch 15.000 Menschen arbeitslos gemeldet – was für ein Erfolg! Und ich füge hinzu, meine Partei sollte aus meiner Sicht darauf öfter mal stolz sein.

Aber, meine Damen und Herren, wir wollen mehr erreichen. Denn es sind ungefähr 5.000 der 15.000 Arbeitslosen, die wir als Langzeitarbeitslose bezeichnen können – es gibt auch andere Definitionen – aber ich orientiere mich jetzt mal an der Vorlage der Verwaltung zu dieser Generaldebatte. Und hier haben wir ein Problem, denn bei diesen Zahlen gibt es in Stuttgart in den vergangenen Jahren nur wenig Bewegung. Hier besteht Handlungsbedarf. Und wir handeln auch.

Das Teilhabechancengesetz, das die SPD in der Bundesregierung durchgesetzt hat, ist mit das Beste, was das Bundessozialministerium seit Langem auf den Weg gebracht hat, so sagt es Marc Hentschke, Chef der Neuen Arbeit, laut Stuttgarter Zeitung vom 5. Oktober. Der Bund bezuschusst das Monatsgehalt eines eingestellten Langzeitarbeitslosen mit 1.300 bis 1.600 Euro pro Monat, übrigens auch, wenn wir bei der Stadt jemanden einstellen, z.B. beim AWS. Das ist eine Riesenchance für diese Menschen!

Es gibt aber auch Langzeitarbeitslose, die auch mit Zuschüssen und Coaching keinen Platz auf dem ersten Arbeitsmarkt finden werden. Deshalb wiederholen wir unseren Vorschlag aus den Haushaltsberatungen, einen größeren kommunalen Arbeitsmarkt auszubauen. Weil wir es auch diesen Menschen schuldig sind, dass sie teilhaben können, Herr Kollege Stopper, teilhaben am Leben in dieser Stadt, an der Arbeit. Und ich möchte, neben den Langzeitarbeitslosen, eine weitere Gruppe ansprechen, die es nicht so einfach hat teilzuhaben an Arbeit. Nämlich Menschen mit körperlichen Behinderungen, mit geistigen Behinderungen oder mit seelischen Behinderungen, psychisch kranken Menschen. Wir haben auch dort mit dem Bundesteilhabegesetz eine neue Chance. Weil wir diese Menschen in Zukunft persönlicher, individueller nach ihren Hilfebedarfen ansprechen und fördern können. Sie haben ein persönliches Budget für Arbeit, mit dem sie zu den Werkstätten gehen können, aber auch zu anderen Anbieterinnen und Anbieter. Wir schlagen vor, dass wir auch für die Langzeitarbeitslosen insgesamt nochmal bei der Stadt Stuttgart 100 Jobs schaffen, mit denen wir das Programm des Bundes in Anspruch nehmen können. Das können ja auch die Kommunen in Anspruch nehmen. Da haben wir ja einen ersten Schritt gemacht beim AWS. Das war ein guter Beschluss im Gemeinderat. Aber wir sollten noch weitere Schritte gehen. Und wir müssen auch als Arbeitgeber bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen Vorbildcharakter haben. Und da ist es so: Bei den Haushaltsberatungen ist es uns gelungen, vier zusätzliche Inklusionsstellen zu beschließen, allerdings erst auf Druck der Gemeinderatsfraktionen. Und wir fragen uns da schon, oder ich formuliere es jetzt mal anders, Herr Oberbürgermeister. Wir haben ja ein Paket für den nächsten Haushalt angekündigt. Wir freuen uns darüber und wir bitten Sie, dass ein Teil dieses Pakets Inklusionsstellen bei der Landeshauptstadt Stuttgart auch sind, das wär unser Vorschlag.

Wir haben eine dritte Gruppe, die es nicht leicht hat auf dem Arbeitsmarkt. Das sind die schon angesprochenen Flüchtlinge. Aber schauen wir doch mal genauer hin: Diese Menschen, die erst seit zwei, drei Jahren in Stuttgart, in Deutschland sind. Schauen wir uns doch die mal genauer an. Bundesweit zahlen bereits eine Viertel Million Geflüchtete Beiträge in die Rentenversicherung. Jeden Monat kommen derzeit zehntausend Geflüchtete zusätzlich in Arbeit, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Und wie ist das in Stuttgart? Ich war bei der Lossprechungsfeier der Kreishandwerkerschaft. Alexander Kotz hatte eingeladen. Ich fand das erstens eine tolle Veranstaltung, weil man da junge Menschen gesehen hat, die motiviert in den Beruf starten. Aber ich fand es auch deshalb großartig, weil ich da was gelernt habe. Das urdeutsche Bäckerei- und Metzgereihandwerk ist überglücklich über die Flüchtlinge, die nach Stuttgart gekommen sind, weil sie endlich wieder Azubis finden, die das Arbeiten mit Lebensmitteln gut finden und einsteigen in die Ausbildung in diesen Berufen. Ja, was für ein Gewinn für unsere Stadt, dass das deutsche Bäckerhandwerk von den muslimischen Syrern wieder nach vorne geführt wird! Da kann man sich doch freuen!

Mein letzter Punkt war die Armut in der Stadt. Wir haben für die Menschen, die wenig Geld haben mit der Bonuscard ein sehr gutes Angebot. Ich habe ein Vorschlag gemacht, wie man das noch verbessern könnte mit dem Sonderprogramm für bessere Bildungschancen. Wir dürfen aber auch die Menschen mit ganz normalen mittleren Einkommen nicht vergessen, die es zunehmend schwer haben. Deswegen ist es gut, dass wir die Familiencard-Inhaber bei den Kitagebühren entlasten, dass wir die Tarifreform gemacht haben. Und das größte Armutsrisiko, für diese Gruppe von Menschen, sind die Wohnkosten. Und ich möchte zum Schluss ein Punkt loswerden. Auch die Vermieterinnen und Vermieter, sie haben Vonovia genannt, und die meisten sind anständig, aber andere eben nicht, haben in der sozialen Stadt die Pflicht, Mensch zu sein. Und das heißt Fairness beim Vermieten. Und ich füge hinzu: Ich würde mir manchmal von den ganz reichen, vermögenden Menschen in dieser Stadt wünschen, dass sie sich doch stärker für bezahlbaren Wohnraum engagieren. Wie zum Beispiel ein Eduard Pfeiffer vor über 100 Jahren, der eine ganze Siedlung errichtet hat. Wo sind die vermögenden und reichen Menschen in dieser Stadt, die sich das zur Aufgabe machen, weil sie die soziale Stadt wollen? Und letzter Punkt: Wenn die Grünen beschließen, ein Wohnungsbaufond auf dem Landesparteitag – find ich gut –, aber wenn der landeseigene EnBW-Konzern faktisch auf Grundstücksspekulationsgewinne aus ist, dann hat das auch nichts mit einer menschlichen, sozialen Stadt zu tun. Wir arbeiten dafür seit über 100 Jahren und wir wollen es weiter tun.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

 

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